Murer - Anatomie eines Prozesses

21.03.2018

Am 21. März 2018 zeigte das Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte in einer Sondervorführung und in Kooperation mit Filmladen/Lunafilm den österreichischen Film „Murer – Anatomie eines Prozesses“.

Es handelt sich dabei um einen Justizthriller, der auf einem tatsächlichen Prozess beruht: 1963 wurde der hochbelastete NS-Täter Franz Murer wegen mehrfachen Mordes vor dem Grazer Schwurgericht angeklagt – und freigesprochen. Das skandalöse Urteil zugunsten des „Schlächters von Vilnius“ steht im Zentrum eines Spielfilms, der im März 2018 in die österreichischen Kinos kam. Er eröffnete die Diagonale 2018 und gewann dort den Großen Spielfilmpreis.

Der Produzent und Regisseur Christian Frosch war bei einem Museums-Besuch in Vilnius durch Zufall auf Leben und Taten des steirischen Bauernsohns Franz Murer aufmerksam geworden. Murer, „berühmt im Ausland und unbekannt in Österreich“, war für die Unterbringung von 40.000 Juden und Jüdinnen im Ghetto von Vilnius verantwortlich und hatte auch eigenhändig Morde an dessen Bewohnerinnen und Bewohnern begangen. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hatte ihn ein sowjetisches Militärtribunal deshalb als Hauptveranlasser für tausendfache Fälle von Folter und Mord an jüdischen Sowjetbürgern zu einer 25-jährigen Haftstrafe verurteilt. Seine Inhaftierung endete bereits nach sieben Jahren infolge des Staatsvertrags 1955. Murer kehrte auf seinen steirischen Bauernhof zurück und wurde erst auf hartnäckiges Betreiben von NS-Opfern vor das Grazer Landesgericht für Strafsachen gestellt. Der Spielfilm der, so Christian Frosch „dem Prozess den Prozess machen“ soll, analysiert die Entscheidungsfindung, die schließlich zum international diskutierten Freispruch geführt hat.

Die Filmvorführung wurde organisiert vom Lehrstuhl für europäische Rechtsgeschichte (Miloš Vec). Sie fand an einem Mittwochnachmittag im Großen Saal des Votiv-Kinos statt - für die 175 Plätze gab es schon in der Vorwoche der Vorführung mehr als 300 Anmeldungen. Im unmittelbaren Anschluss an den Film wurde im Kinosaal eine Podiumsdiskussion organisiert: „Geschichte vor Gericht. Ein Justiz-Thriller über österreichisches (Un)Recht“.

Neben Regisseur und Produzent Christian Frosch diskutierten: der Historiker Johannes Sachslehner, Autor der 2017 erschienen Biografie „‘Rosen für den Mörder‘. Die zwei Leben des SS-Mannes Franz Murer“, Elisabeth Holzleithner, Professorin und Kollegin vom Institut für Rechtsphilosophie der Universität Wien, sowie Dr. Oliver Scheiber, Richter in Strafsachen und Vorsitzender des Vorstands des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie. Die lebendige, rund zwei Stunden dauernde Diskussion mit dem Saalpublikum beschäftigte sich vor allem mit Fragen historischer Authentizität: Wie realistisch zeigte der Film das historische Geschehen, wo und warum wich er von den quellenmäßig belegten Vorgängen ab? Und nicht zuletzt: Wie hätte man aus heutiger Sicht den als zutiefst ungerecht empfundenen Freispruch eines NS-Kriegsverbrechers und Massenmörders verhindern können?